Die zukünftige Nutzung des Tempelhofer Felds – Berlin vor der Wahl

Öffentliche Diskussion

8. Mai 2014, 19.00 Uhr
Urania

Berlin hat Freiflächen, die in vielen anderen deutschen Städten Mangelware sind, deren Nutzung aber gleichzeitig umstritten ist. Das Tempelhofer Feld ist das jüngste und wohl bedeutendste Beispiel. Eine Volksbefragung soll Ende Mai darüber entscheiden, ob an dieser Stelle gebaut werden darf oder nicht. Hier sollen, wenn es nach dem Senat geht, einige der dringend benötigten Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten entstehen. Andererseits wird gefordert, dass die bestehende Grünfläche komplett zur Erholung und für Freizeitzwecke erhalten bleibt. Das Bürgerforum indes fragt sich, ob nicht beides auf dieser riesigen Fläche machbar ist.

Nach einem Impulsreferat von Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, diskutierten mit ihm:

Petra Hildebrandt
Prokuristin, WoBeGe, Tochterunternehmen der STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH, Berlin

Prof. Hildebrand Machleidt
Stadtplaner, Bürgerforum Berlin e.V.

Michael Schneidewind
Dipl.-Ing, Stadtplaner und Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld

Christian Wiesenhütter
stellv. Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin

Reiner Wild
Geschäftsführer Berliner Mieterverein e.V.

Moderation: Robert Ide, Ressortleiter Berlin-Brandenburg beim Tagesspiegel, Berlin

Eingangsstatement Prof. Hildebrand Machleidt für das Bürgerforum Berlin e.V.

Erstens
Der jetzige Zustand des Tempelhofer Feldes ist in der Tat eindrucksvoll, wenngleich es sehr puristisch und geradezu kahl daherkommt und damit keineswegs für alle Bevölkerungsgruppen geeignet erscheint.
Es ist im Grunde eine Art „innere Peripherie“ von etwa 6 km Länge, die aber einer „äußeren Peripherie“ der Stadt von etwa 150 km gegenübersteht. Wer also mal aus der Stadt raus will – und das wollen wir alle von Zeit zu Zeit – erreicht das Brandenburger Umland mit seiner landschaftlichen Weite in alle Richtungen auf kurzem Wege, auch mit dem ÖPNV.

Zweitens
Diese Fläche – innerhalb des S-Bahnringes gelegen – ist zu wertvoll, um nur Peripherie zu sein. Sie ist die wertvollste Entwicklungsressource Berlins: Hier ist der Ort, an dem entschieden wird, wie Berlin sich seiner Zukunft stellt!

Bei allen stadtplanerischen Argumenten und Kritiken ist doch die entscheidende Frage:

Glauben wir an die Stadt und glauben wir an diese Stadt Berlin? Wollen wir sie weiterentwickeln zu der Metropole in der Mitte Europas mit vielleicht vier Millionen oder mehr Einwohnern? Wollen wir den Trend, dass nämlich die Menschen zunehmend die Stadt und ihre urbanen Qualitäten suchen, offensiv aufnehmen und für Berlin fruchtbar machen?
Oder ist uns der heutige Zustand genug und der Zuwachs an Menschen und Wohnungen eher lästig, weil er natürlich mit Veränderungen der Besitzstände und mit Konflikten verbunden ist?
Pointiert ausgedrückt: Ja, wir haben unsere Wohnung, wir haben unseren Arbeitsplatz und wir haben unseren vertrauten Kiez,- nun doch bitte keine Störungen. Wir sind offensichtlich mit uns zufrieden – selbstzufrieden. Und wenn doch etwas passiert, bitte nicht bei uns!

Drittens
Aus dieser Verweigerungshaltung lässt sich jede Planung und jeder Plan kritisieren und ablehnen. Ohnehin wird Bauen im populären Sprech mehr und mehr zum „Sündenfall“ und durch Begriffe wie Investorenstädtebau, Zubetonieren und Luxusbeton transportiert. Dagegen werden Freiraum und Grün zur „Verheißung“ und mit Begriffen wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Erhaltung der Schöpfung assoziiert. Das eine ist immer „gut“, das andere im Zweifel „böse“.
Hinzu kommt die verbreitete Meinung, dass der Senat es eben nicht kann und dass man es besser wisse. Der Trend in der Bürgerbeteiligung hat sich von der ursprünglichen außerparlamentarischen Opposition zu einem außerparlamentarischen Interessenlobbyismus entwickelt: Die aktive interessengesteuerte Minderheit scheint die weniger aktive Mehrheit zu dominieren!

Viertens
Das Bürgerforum Berlin e.V. unterstützt generell den Plan des Senats, allerdings mit den schon vielfach geäußerten Anregungen, die Qualitäten der Gründerzeitquartiere anzuhalten – also die Mischung der Bauherren, der Nutzungen, der sozialen Gruppen und der Architekturen und Gebäudeformen. Auch sollte über Standort und Kosten der ZLB nochmal nachgedacht werden.
Wir sind darüber hinaus der Meinung, dass der Plan offener gestaltet werden sollte für langfristige Entwicklungen auf dem großen Feld, eben für künftige Generationen als „Ort der Möglichkeiten“ und ergebnisoffen.
Wenn Berlin weiter wächst – und das sollte unser Interesse sein – könnte es durchaus passieren, dass wir hier in bester innerstädtischer Lage eine weitere städtische Entwicklung brauchen.
Ihr Konzept, Herr Senator, ist jetzt ein wichtiger und richtiger Schritt, aber möglicherweise nur der erste große Schritt. Nach einem Status in 10 bis 15 Jahren könnte es durchaus sinnvoll und notwendig sein, einen zweiten Abschnitt folgen zu lassen. Und vielleicht sogar – nachdem wir alle nicht mehr in der Verantwortung sind – einen Dritten.
Der Plan sollte also prinzipiell eine städtebauliche Erweiterbarkeit ermöglichen und nicht aus heutiger Einsicht und Interessenlage einen Park mit 230 ha und entsprechender städtebaulicher Figur festschreiben, gewissermaßen für immer …

Fünftens
Mein Schlusssatz zu der steten Veränderung von Stadt und den wechselnden Anforderungen an die Stadt:
Die originelle Idee „100 % Freiheit“ ist ein Konzept der Vergangenheit als diese Stadt – wie viele andere auch – schrumpfte. Damals vor 12 bis 15 Jahren war es richtig die Fläche – da kein Entwicklungsdruck – liegen zu lassen, um nichts zu verspielen.
Heute – angesichts des anhaltenden Wachstums Berlins wie auch anderer bedeutsamer Städte – ist es ein Anachronismus, dieses nicht zur Kenntnis zu nehmen und auf dem veralteten Standpunkt „100% Freiheit“ zu beharren.

 

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