Mit Weitsicht aus der Wohnungskrise

Der neue Senat steht wohnungspolitisch vor gewaltigen Aufgaben. Nötig sind gleichzeitige Reformen von Bund und Land.

Ein Beitrag von Eberhard von Einem

Kaum ist der Berliner Senat im Amt, bestätigt sich, wie groß die wohnungspolitischen Herausforderungen sind – wegen der zu begrüßenden klimapolitischen Neuausrichtung, aber auch bei klassischen sozialen Kernaufgaben. Sie verlangen fraktions- und ressortübergreifende Lösungen sowie die Kooperation mit dem neuen Bundesbauministerium. Um die anstehenden Herkulesaufgaben zu meistern, sind koordinierte Weichenstellungen von Bund und Land notwendig. Sie zu formulieren und umzusetzen ist ein Imperativ, nachdem die Wähler am 26. September 2021 nicht nur für neue Koalitionen stimmten, sondern in Berlin mit eindeutigem Ergebnis die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände befürworteten. Der Handlungsdruck steigt. Vor dem Hintergrund wohnungspolitischer Fehlentscheidungen wird der Grad der teils an Verzweiflung grenzenden Stimmung in Teilen der Bevölkerung erkennbar. Das Votum ist als wohnungspolitische Misstrauenserklärung zu verstehen – eine unmissverständliche Aufforderung, endlich kompetent zu handeln, um das Patt aus Nichtstun des Bundes und illusionären Versprechungen des Senats zu beenden.

Die Probleme des aus den Fugen geratenen Wohnungsmarktes sind hinreichend beschrieben. Unisono wird geklagt, es werde zu wenig gebaut; das Angebot genüge nicht annähernd dem Bedarf. Mehr und mehr Mietwohnungen würden in Eigentum umgewandelt oder gleich so geplant. Landauf, landab steigen Mieten im oberen wie unteren Segment. Längst gibt es eine Spaltung des Wohnungsmarktes in ein teures Top- und ein vernachlässigtes unteres Segment. Hier wird zwar neu gebaut, dort aber kaum. Neue Wohnungen für hohe Einkommen helfen Haushalten mit unterdurchschnittlichen Einkommen nicht. Die stillschweigend unterstellten Sickereffekte funktionieren nicht. Am unteren Ende spitzt sich die Knappheit bezahlbarer Wohnungen dramatisch zu. Insbesondere umziehende Haushalte stoßen auf ein ausgetrocknetes Angebot freier, bezahlbarer Mietwohnungen.

Was fehlt, sind ausgefeilte Lösungen. Alle Parteien beschwören das gleiche Ziel, wollen mehr bezahlbaren Wohnraum. Offen bleibt, wie dies in der Praxis gelingen kann. Sobald nach konkreten, machbaren Lösungen gefragt wird, öffnet sich ein Ideenvakuum. Es fehlt an strategischen Konzepten, wie der wohnungspolitische Knoten mit mehreren ineinander greifenden Reformen auf Landes- und Bundesebene gelöst werden kann. Statt realistischer Vorschläge bleiben Vorstellungen vage und budgetär unabgesichert, während sich Statements der Verbände zu stereotypen Floskeln verhärtet haben.

Mieten der Bestandswohnungen

Drei Optionen könnten helfen, die Belastung der Mehrheit der Mieter erträglicher zu machen. Die geplante Anhebung des Mindestlohns dürfte es zahlreichen Haushalten erleichtern, gestiegenen Mieten zu schultern. Zudem sollte erwogen werden, Wohngeld wieder zu einer echten Säule sozialer Mietenpolitik zu machen, statt es bis zur Bedeutungslosigkeit zu stutzen. Ferner steht eine Verschärfung des Mietwucherparagrafen an, um schwarze Schafe zu zwingen, ihre Machtstellung als Vermieter nicht zu missbrauchen und sich an die im Grundgesetz verankerte Sozialpflichtigkeit zu halten. Statt alle Vermieter zu belasten, sind selektive Sanktionen rechtsstaatlich angezeigt.

Die Politik hat sich darauf kapriziert, das Mietrecht in den Blick zu nehmen, um den Anstieg der Mieten im Bestand rechtlich zu begrenzen. Das Mietrecht ist allerdings Bundesrecht. Es ist ein komplexes System der Regulierung gegensätzlicher Vermieter- und Mieterinteressen im Rahmen der Sozialpflichtigkeit, das vom Bundesgesetzgeber normiert und von Gerichten in hunderten Entscheidungen austariert wird: Mietobergrenzen, Mietpreisbremse, Kündigungsschutz, Kappung der Umlagen nach Modernisierung. Der Handlungsspielraum der Landespolitik ist limitiert, was Berlin lange nicht wahrhaben wollte. Der Senat kann nur nachjustieren und begrenzt eigene Initiativen ergreifen: Milieuschutzgebiete, Zweckentfremdungsverbote, Einschränkung der Vermietung von Ferienwohnungen und Erschwerungen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.

Berlin wollte sich damit aber nicht begnügen. Das Abgeordnetenhaus beschloss 2020 den sogenannten Mietendeckel, die Bezirke nutzten das Vorkaufsrecht. Mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel vom April 2021 sowie des Bundesverwaltungsgerichts zum Vorkaufsrecht vom November 2021 wurde dem Senat vor Augen geführt, dass er vor einem Scherbenhaufen steht. Er hatte bei Bürgern unhaltbare Erwartungen zu sinkenden Mieten geweckt und seine Kompetenzen überschätzt. Berlin hatte sich auf juristisch dünnes Eis gewagt und ist eingebrochen. Damit hat der abgewählte Senat ein beispielloses Chaos verursacht. Nicht nur hebelte Berlin mit dem Mietendeckel die Mietpreisbremse des Bundes aus, die Stadt eröffnete auch die Möglichkeit, Mieten nachträglich zu senken, sobald Obergrenzen überschritten werden. In Folge gingen die Bauanträge und Bauaufträge zurück.

Der Mietendeckel ist inzwischen Geschichte. Anders das Vorkaufsrecht, das überleben dürfte, denn die neue Bundesbauministerin kündigte eine verbesserte Rechtsgrundlage an. Offen bleibt die Frage, ob es zu einem zweiten Versuch kommt, einen bundesweiten Mietendeckel einzuführen. Das ist nicht ausgeschlossen. Er könnte im zweiten Anlauf als bundesweites Gesetz in veränderter Fassung (etwa ohne die verfassungsrechtlich unzulässige nachträgliche Mietenabsenkung) für Städte mit angespannter Wohnungslage erneut beschlossen werden. Das BVerfG ließ eine Tür offen.

Sozialer Mietwohnungsbau

Die Jahre 2000 bis 2021 zeigen, dass die Prinzipien der Gemeinnützigkeit wiederbelebt werden sollten, um mehr Sozialwohnungen zu bauen und die Nöte der unteren Hälfte der Haushalte in den Griff zu bekommen. Dazu ist der gemeinnützige soziale Mietwohnungsbau unter Bedingungen des 21. Jahrhunderts quasi neu zu erfinden. Eine Aufgabe, der sich das Bundesbauministerium verschrieben hat, nachdem die Politik es über zwei Jahrzehnte weitgehend tatenlos hinnahm, den schrumpfenden Bestand geförderter Sozialwohnungen nach Auslaufen der Mietbindungen durch Neubauten wieder aufzufüllen. Nur wenn es gelingt, das Angebot an Sozialwohnungen deutlich auszuweiten, kann eine Entspannung im unteren Marktsegment erwartet werden. Um mehr gemeinnützige Sozialwohnungen zu bauen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein.

Bodenpolitik

Sie ist vorrangig, da Bodenpreise mit bis zu 50 Prozent bei den Erstellungskosten zu Buche schlagen, und sollte gemäß dem Grundgesetz so gestaltet werden, dass Grund und Boden an eine dem Allgemeinwohl verpflichtete Verfügung und Nutzung gebunden wird. Dass der Aufbau von Bodenfonds und damit die Vergabe kommunaler Flächen nur noch zur Verpachtung ein wünschenswertes Ziel ist, bedarf nicht der Begründung. In den 1970er Jahren war die Bodenfrage schon einmal Gegenstand parlamentarischer Beratungen. 1976 scheiterten die Pläne einer „großen Bodenreform“ an den Machtverhältnissen. Auch heute lassen schwammige Schlussfolgerungen der Baulandkommission von 2019 und fehlende verbindliche Koalitionsvereinbarungen der neuen Regierung wenig Hoffnung auf Änderung erkennen. Rechtlichen Hürden sind hoch.

Einstweilen ist deshalb auf die „kleine Bodenreform“ abzustellen, denn das BauGB enthält Regelungen, mit denen Bodenverfügbarkeit und Baulandpreise zumindest örtlich in den Griff zu bekommen sind. Da es sich um geltendes Recht handelt, besitzt Berlin ein wirkungsvolles Instrumentarium, Areale als städtebauliche Entwicklungsgebiete festzulegen, Bodenpreise einzufrieren, Vorkaufsrechte auszuüben, punktuelle Enteignungen durchzusetzen, Ausgleichsbeträge zu erheben und städtebauliche Entwicklungen zu steuern, ohne dass es neuer Gesetze bedarf. Von diesen Instrumenten wird, obwohl vorhanden, kaum Gebrauch gemacht.

Aber auch sonst gibt es ungenutzte Möglichkeiten aktiver Bodenvorratspolitik nach dem Vorbild Ulms, Münsters, Hamburgs, Basels oder Wiens. Diese wohlhabenden Städte setzen seit Jahrzehnten konsequent darauf, kommunale Grundstücke für soziales Wohnen und gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen. Zweifelhaft allerdings ist, ob diese Option auch in ärmeren Städten wie Berlin umsetzbar ist. Da Berlin seinen kommunalen Besitz in den 2000er Jahren teilweise privatisierte, dürfte die Stadt heute schwerlich in der Lage sein, ihre kommunalen Bestände an baureifem Grund und Boden wieder auf das alte Niveau aufzustocken.

Bauvorschriften vereinfachen

Zu empfehlen ist, in der Landesbauordnung selektive Ausnahmeregelungen zuzulassen, um den Bau von Sozialwohnungen mit einfacheren Standards ohne Verluste bei Gestaltung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu ermöglichen. Angesprochen sind damit innovative Architekten, die sich anknüpfend an den Siedlungsbau der 1920er Jahre darauf spezialisieren, gemeinnützige, ökologische Wohnanlagen zu planen. Mehrfach, zuletzt durch die Baukostensenkungskommission 2016, wurden Vorschläge zur Vereinfachung und Eindämmung überregelter Bauvorschriften vorgelegt – aber nicht umgesetzt. Stattdessen kommen immer neue Vorschriften hinzu, nicht zuletzt zum Schutz von Umwelt und Klima. Sie sind im Einzelnen begründet und sinnvoll, treiben aber in der Summe die Kosten. Empfehlungen der Kommission aufgreifend sollte Berlin einen neuen Vorstoß wagen, Bauvorschriften, DIN-Normen und Verwaltungsrichtlinien daraufhin abwägend zu reformieren, ob alle Bestimmungen heute noch sinnvoll und erforderlich sind und welche Verfahren vereinfacht werden könnten, ohne Anforderungen von Klimaschutz und Gestaltung zu gefährden.

Direkte Förderung

Finanzielle Anreize sind unerlässlich, um das Ziel zu erreichen, in Berlin 10 000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen. Ohne ausreichende direkte Fördermittel kann Berlin, unterstützt vom Bund, seine gemeinnützigen Neubauziele nicht verwirklichen. Historisch waren Zinssubventionen des I. und II. Förderwegs Eckpfeiler sozialer Wohnungspolitik. Sie sind zu Recht in Misskredit geraten (Neue Heimat, Bankenskandal). Zudem ist zu bedenken: Private Bauträger wie kommunale Wohnungsunternehmen lehnen inzwischen zinsverbilligte öffentliche Darlehn weitgehend ab, weil diese angesichts ohnehin niedriger Hypothekenzinsen keinen Anreiz mehr versprechen, die damit verbundenen Auflagen zu kompensieren. Erfahrung zeigt: Öffentliche Förderangebote alter Art verpuffen; sie werden nicht abgerufen und bleiben ohne Wirkung.

Neue Förderprogramme für gemeinnützigen Wohnungsbau sollten nicht als Kopie alter Praktiken ins Werk gesetzt werden. Sie müssen so gestaltet werden, dass Misswirtschaft und Fehlbelegungen vorgebeugt wird. Es wird darauf ankommen, neue Fördermodelle zu „erfinden“ und sie missbrauchssicher zu gestalten. Denn ohne intelligentere Fördermodalitäten sind keine zusätzlichen Wohnungen mit bezahlbaren Mieten zu erwarten. Zu prüfen sind etwa inversiv bemessene einmalige Zuschüsse mit zeitlich unbegrenzter Mietpreisbindung sowie Ankauf von steuerbegünstigten Belegungsbindungen zu reduzierten Mieten, wie kürzlich in einer Studie für die Friedrich- Ebert-Stiftung empfohlen.

Mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind die „Schmerzgrenzen“ bei Investitionsentscheidungen auszuloten, um nachzuweisen, unter welchen Kosten- und Förderbedingungen Sozialwohnungen für maximal 7 Euro/qm netto kalt realisierbar sind. Berlin sollte sich darauf einstellen, dass mit einem wohnungspolitischen Budget von rund einer Milliarde Euro pro Jahr zu rechnen ist. Die finanzielle Ausstattung neuer Programme des sozialen Mietwohnungsbaus in dieser Größenordnung dürfte allerdings – realistisch betrachtet – auch in den kommenden Jahren ein Engpass bleiben angesichts konkurrierender Ansprüche von Klimapolitik, Infrastrukturausbau, Verkehrswende, Schulen oder Coronahilfen.

Steuerrecht

Lässt sich das Steuerrecht für soziale Ziele nutzen? Zum einen meldet die EU Widerstand an, sollten Körperschaftsnachlässe eingeführt werden; zum anderen stoßen Vorstellungen, steuerliche Abschreibungssätze kleinräumlich differenziert einzusetzen, auf Bedenken. Bisher ist nicht möglich, diese auf Stadtgebiete mit angespannten Wohnungsmärkten zu beschränken. Das Steuerrecht kennt keine räumliche Feinsteuerung. Stets gilt der Grundsatz, dass das Steuerrecht bundesweit einheitlich zu gelten habe. Zulässig wäre aber eine andere Fokussierung: erhöhte Abschreibungsregeln ausschließlich für den Bau von Sozialwohnungen mit dauerhafter Bindung. Das wäre ein effektiver Hebel zur indirekten Förderung des Baus von Sozialwohnungen. Eine weitere Option zur Erschließung zusätzlicher Finanzquellen bietet das Erbschaftssteuerrecht. Der Bundestag könnte bei der Erbschaftssteuer ansetzen, um den Bau preisgebundener Sozialwohnungen anzuregen.

Zusammenfassung

Mit den genannten Punkten sind einige der Hausaufgaben des neuen Senats umrissen. Um die Wohnungspolitik aus ihrer Lethargie zu erwecken, braucht es vorurteilsfreie, überparteilich getragene strategische Konzepte auf wissenschaftlicher Grundlage. Das Thema ist zu wichtig und sollte nicht länger zerredet werden. Mit der Aufstockung der öffentlichen Haushalte ist es nicht getan. Entscheidend sind gemeinsame Reformen auf mehreren Feldern, um die Weichen auf Bundes- wie Landesebene synchron zu stellen und dies in mehreren miteinander verflochtenen Politikfeldern umzusetzen – selbstverständlich nach Abwägung sozialer, klimapolitischer, ökologischer und anderer nachhaltiger Ziele. Berlin hat als Land nur begrenzte Möglichkeiten. Wünschenswert ist deshalb ein synergetisches Zusammenwirken von Landes- und Bundespolitik, um mehrere Reformen aufeinander abzustimmen und zeitgleich in Kraft zu setzen. Einzelmaßnahmen versprechen keine Lösung. Nur das langfristig angelegte synchrone Drehen an mehreren Stellschrauben verspricht Besserung.

Der Autor war Professor für Stadt- und Regionalökonomie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Soziale Wohnungs- und Bodenpolitik“ des Werkbunds Berlin. Von ihm sind erschienen: „Wohnen – Markt in Schieflage – Politik in Not“ und „Wohnungen für Flüchtlinge“ (Verlag Springer VS).

Dieser Artikel erschien wortgleich am 8. Januar 2022 im Tagesspiegel.

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